Volktrauertag 2025
Volktrauertag 2025
Alljährlich im November findet zum Volkstrauertag eine Gedenkstunde am Ehrenmal vor der Veitskirche statt.
Nur noch wenige Mitbürgerinnen und Mitbürger können von bewussten Erfahrungen aus der Zeit des zweiten Weltkrieges berichten. Die Angst, welche sie als Kinder hatten, als sie rund um das Kriegsende aus ihrer Heimat vertrieben wurden, ist vielen Älteren jedoch noch heute präsent.
Umso wichtiger ist die Teilnahme auch der jüngeren Generation an dieser Gedenkstunde.
Für die Präsenz und das Mitwirken sei den beteiligten Vereinen, den Kirchen sowie der Mittelschule und allen Gästen herzlich gedankt.
Die Ansprache von 1. Bürgermeister Marco Kistner finden Sie nachstehend.
Vor wenigen Monaten jährte sich das Kriegsende zum 80. Mal.
Im Mai hier in Europa, im August auch im fernen Osten.
Doch war das Kriegsende nicht gleichbedeutend mit Frieden.
Für viele, vor allem Alte und Kinder, Frauen und Mädchen, die weit entfernt von der Front gewohnt hatten, und die bislang vom Krieg wenig bis nichts mitbekommen hatten, ging das Leid erst los.
Sehr häufig war auf den Höfen und in den Familien der Ehemann und Vater nicht mehr da. Dieser war gefallen, verschollen oder als Kriegsgefangener in einem Lager weit entfernt von der Heimat.
Auch heutzutage, 80 Jahre später, gibt es immer noch Zeitzeugen, auch in unserer Gemeinde.
Es ist wert, mit diesen unseren ältesten Mitbürgern das Gespräch zu suchen, denn sie werden immer weniger – umso wichtiger ist es, ihnen zuzuhören.
Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger, die wir kennen, haben Geburtsorte, die hunderte oder auch tausende von Kilometern außerhalb Frankens liegen.
Breslau
Saaz
Zickau
Hedjeß
Konstantinowka bei Kiew
Twerschitz
Mancher war zu klein, um sich an die Vertreibung bewusst erinnern zu können.
Viele andere haben die schrecklichen Bilder und Geschehnisse über Jahrzehnte verdrängt.
Doch jetzt, im Alter, kommen bei vielen Zeitzeugen die Erinnerungen an die schrecklichen Bilder wieder hoch.
Wenn man sich mit ihnen unterhält, dann sind die Bilder und Erlebnisse sofort präsent, aus vielen sprudelt es regelrecht heraus, wenn sie beginnen zu erzählen.
Wenn sie sich erinnern an die Hühner auf dem Hof der Uroma, an die weiten Felder rundherum
„Alles weg, alles verloren“
Wenn sie daran denken, dass sie von jetzt auf gleich flüchten mussten, dass sie beim Mittagessen die Nachricht erhielten, sich in zwei Stunden am Bahnhof einfinden zu müssen.
Wenn sie daran denken, wie sie nur das allernötigste zusammenraffen konnten und alle Wertgegenstände abgeben mussten.
Wie sie noch das Gesicht des Nachbarn vor Augen haben, der versuchte, doch etwas Familienschmuck mitzunehmen, der bei der Durchsuchung am Bahnhof dabei ertappt und umgehend erschossen wurde.
Einfach liegen gelassen, ohne Beerdigung und ohne Chance für die Angehörigen, irgendwie noch Abschied nehmen zu können.
Wie sie in einem Viehwaggon hunderte oder tausende Kilometer verfrachtet wurden, ohne zu wissen wohin.
Viele waren angesichts der vorrückenden Roten Armee schon aus freien Stücken geflüchtet, weil sie wussten, was ihnen bei einem Bleiben drohen würde: Gewalt, Schändung, Plünderung.
Wie sie am Weg Richtung Westen zahllose Leichen passieren mussten, Leichen von Alten, Kindern und Frauen, die kraftlos zusammengebrochen und erfroren waren.
Wie sie Angst hatten, das vor ihnen liegende Eis zu betreten, ganz besonders mit ihrem Pferd und dem Hänger, auf dem ihr Hab und Gut lagerte. Angst einzubrechen und im eisigen Wasser den Lebensatem auszuhauchen.
Wie sie es schon von Kiew bis Leipzig geschafft hatten, dort aber Schluss war und sie als Deutsche in Russland von der Roten Armee aufgegriffen und nach Sibirien verfrachtet wurden.
Wie sie sich in einer Holzbaracke wiederfanden, mit einem langen Flur, rechts und links Zimmer ohne Betten, sondern nur mit Stroh.
„Leg Dich hin, Du Hund“
Wie diese Aufforderung heute noch vor dem inneren Auge präsent ist.
Wie sie als Mädchen und junge Frauen im Wald arbeiten mussten, wie sie über den Obstbaum im Garten lachten, den sie später hier vor ihrem kleinen bescheidenen Eigenheim hatten, waren sie doch deutlich schwierigere Arbeiten gewohnt.
Wie sie in unwirtlichen Gegenden leben mussten und es als großen Fortschritt empfanden, von einem Lager in Sibirien in ein Lager in Kasachstan wechseln zu können, weil es dort Brot und Mehl gab.
Wie sie noch vierzig, fünfzig, gar sechzig Jahre später ihre Dankbarkeit gegenüber Kanzler Adenauer zum Ausdruck bringen, der es damals schaffte, viele Deutsche von hinter dem Eisernen Vorhang herauszuholen.
Zwei Geschichten, die mir Frauen um die 90 erzählt hatten, haben sich in meinem Gedächtnis besonders eingeprägt.
Die eine feierte ihren hohen Geburtstag mitten in der Hochphase der Coronapandemie.
Die Zahl der Gäste war begrenzt, entsprechend gab es auch keinen Geburtstagsbesuch durch einen der Bürgermeister, er bei diesem Alter eigentlich Standard war.
Ich hatte der Dame telefonisch gratuliert und mein Bedauern über die Einschränkungen zum Ausdruck gebracht und dass wir uns diesmal nicht würden treffen können.
Mit dem immer noch vorhandenen Spracheinschlag ihres Geburtsortes begegnete sie mir mit einer Fröhlichkeit in der Stimme:
„Wissens, Herr Birrgermeister, die Zwangsarbeit im Bergwerk war schlimmer.“
Ein sehr pragmatischer Blick auf die Geschehnisse. Während viele in Panik ausbrachen und schimpften, weil sie nicht ihrem Mannschaftssport nachgehen konnten, rückte die erfahrene Dame die Verhältnisse so ganz nebenbei zurecht.
Die zweite Frau kam als junges Mädchen zusammen mit ihrer Mutter (der Vater war im Krieg geblieben) nach Veitsbronn.
Gemeinsam wurden sie einem – natürlich bewohnten – Haus zugewiesen. Als sie dort vorstellig wurden und Einlass begehrten, wurde ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen. Verzweifelt gingen sie zum Bürgermeister, der sie zu diesem Wohnhaus begleitete.
Die Mutter und ihre Tochter konnten dann doch dort bleiben, denn die Drohung des Bürgermeisters wirkte: „Entweder Ihr nehmt die zwei oder ich komm mit 4.“
All das ist für uns jüngere Generationen heutzutage unvorstellbar…
Gott sei Dank!
Clemens von Brentano brachte es treffend auf den Punkt:
Wer das Glück genießt, soll nicht vergessen es zu teilen – denn nur so vermehrt es sich Wir können dankbar sein, dass wir in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung
zahlreiche Freiheiten genießen, dass wir uns an demokratischen Wahlen beteiligen dürfen, dass wir nicht Angst haben müssen, jetzt gleich nach Hause zu kommen und die Info zu erhalten,
wir müssten uns bis 16 Uhr mit Sack und Pack am Bahnhof einfinden um wie Vieh an ein unbekanntes Ziel verfrachtet zu werden.
Gehen wir heim und feiern wir dieses!
Vergessen wir dabei aber nicht all diejenigen, denen dieses Glück nicht vergönnt war.
Im Andenken an sie darf ich diesen Kranz niederlegen.
